Geheime Geschichten
32 Geheime Geschichten vom Geheimen Küchenchor
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1. Satz: Nico
Er zog die schwere Eingangstür hinter sich zu, ging die blumengesäumte Einfahrt hinunter und drehte sich noch einmal um: sie stand am Fenster und winkte flüchtig. Sie wirkte nervös.
Er spürte, wie ihre Nervosität auf ihn überging. Das alles lief schon viel zu lange viel zu gut.
Wie lange würde es wohl dauern, bis jemand ihren Plan durchschaute? Vor zwei Jahren hatten sie sich in einer kleinen Bar am Hafen kennengelernt. Sie waren beide wie Teenager ineinander verknallt, es durfte nicht sein, denn er hatte eine Familie zu Hause, die vollkommen ahnungslos war. Auch wurde er immer unsicherer, ob er wirklich mit Teresa nach Spanien gehen sollte.
Auf dem Parkstreifen schräg gegenüber hielt noch immer der Kombi, der schon, als er vor gut zwei Stunden vom Brötchen holen kam, dort stand. Am Steuer saß, in Arbeitskleidung, ein circa 40-jähriger Mann, der konzentriert auf sein Tablet schaute. Die Aufschrift des Wagens besagte irgendwas mit „Installation“. Was nicht so ganz in das Gesamtbild passte, war, dass sich die am Innenspiegel des Autos befestigte Compact Camera, wie von Geisterhand bewegte, ihr Objektiv genau in seine Richtung drehte. Reflexartig zog er, ertappt wie ein Verbrecher, die Kapuze seines Pullis tiefer in sein Gesicht und bog zügig in den nächsten schmalen Seitenweg ab. Es dauerte nur wenige Schritte, bis ihm klar war, dass der eben noch geparkte Wagen ihm langsam, mit einigem Abstand folgte. Er musste sich nicht umdrehen, um sich dessen sicher zu sein. Und noch im selben Moment wusste er, dass er noch heute Nacht eine Entscheidung würde treffen müssen.
Er konnte es nicht fassen, aber Sonja, seine Frau, hatte wohl einen Privatdetektiv engagiert, um ihm nachzuspionieren. Einerseits war er fassungslos, wie wenig sie ihm anscheinend vertraute, aber gleichzeitig kamen Schuldgefühle in ihm hoch, da sie sich ja nicht irrte und er ihr das alles angetan hatte. Das hätte er, Thomas, seiner Sonja nicht zugetraut.
Gut, am Geld würde es nicht scheitern, einen Detektiv zu beauftragen. Aber wie hatte sie von seiner Affäre erfahren? Vielleicht hatte einer seiner Arbeitskollegen gequatscht.
Einer Eingebung folgend bog er schnellen Schrittes in die Einbahnstraße ab. Zumindest war er damit seinen Verfolger los, wie er bei einem kurzen Blick zurück befriedigt feststellen konnte.
Eins war jetzt klar: Er musste sich entscheiden.
Da er im Moment nicht in der Lage war, klar nachzudenken, musste er Zeit gewinnen und die Flucht nach vorne antreten: Den „Seitensprung“ eingestehen, als „Ausrutscher“ deklarieren und „Besserung“ geloben. Danach würde sich dann schon eine Lösung finden.
Jetzt wollte er erst mal zur Arbeit fahren, wie immer Sonja und die Kinder in der Mittagspause kurz anrufen, um zu hören, ob alles in Ordnung war und dann heute Abend nach dem Besuch im FitnessCenter mit Sonja reden – so legte sich Thomas das zurecht und stieg in seinen Wagen, den er wie immer ein paar Seitenstraßen entfernt von Teresas Wohnung geparkt hatte.
Heute schien in mehrfacher Hinsicht nicht sein Tag zu sein.
Der Motor seines 2.000 km gelaufenen Wagens sprang nicht an und die beiden Hinterreifen waren platt.
Das Büro richtete aus,
seine Frau erwarte dringend seinen Rückruf, sie hätte schon wiederholt angerufen und die Besitzerin des Konkurrenzunternehmens, der er ein ausgeklügeltes Übernahmeangebot gemacht habe, warte schon 15 Minuten auf ihn und sei kaum noch zu halten. Ihm wurde schwindelig. Sein Herz raste und schlug heftig bis zum Hals. Thomas öffnete seinen Hemdkragen, um besser Luft zu bekommen und dachte nach. Das mit dem Auto war kein Zufall, sondern Sabotage und das passte einfach nicht zu Sonja. Ein ganz anderer Verdacht drängte sich ihm auf. Und er brauchte jetzt ein Taxi. Wenige Minuten später stand ein Taxi vor ihm. Thomas öffnete die Tür und erstarrte…….. Der Fahrer des Taxis war der Mann, der ihn vorhin verfolgt hatte. In Panik schlug Thomas die Tür zu und sprang auf die Fahrbahn. Bremsen quietschten, er sah den Bus. Er hob seine Linke entschuldigend und sprang kurzerhand in den Bus, dessen Türen sich gerade schließen wollten. Seine Gedanken überschlugen sich. Es war nicht seine Frau, es hatte mit seiner Firma zu tun! Inzwischen war er sich da ziemlich sicher. Sein Herz hörte gar nicht auf so heftig zu schlagen, während er vergeblich versucht hatte Sonja anzurufen. Ihm wurde ganz schwindlig, als ihm klar wurde, dass seine Frau und seine Kinder möglicherweise auch in Gefahr sein könnten. Er machte sich Vorwürfe. Was wusste er eigentlich von Teresa, der Frau, die heute morgen so ungewöhnlich nervös war und der er seit der ersten vielleicht doch nicht so zufälligen Begegnung verfallen war. Wie so oft hatte er auch heute morgen das Firmenlaptop offen auf ihrem Schreibtisch stehen gelassen, als er losging um Brötchen zu holen. Spionierte sie ihn schon fast zwei Jahre aus? Und in wessen Auftrag? Er musste wieder der Herr der Lage werden, brauchte Informationen! Dort! Der Installateurtransporter. „Die Kamera, die Speicherkarte!“ schießt es ihm durch den Kopf. Der Bus hält, er springt raus und läuft zurück, in Richtung des Wagens. Fast da, da schiebt sich der „Installateur“ aus dem Café links von ihm, Coffee to Go und Papiertüten in beiden Händen. Beide zucken zusammen, als sie den anderen erkennen, doch der Installateur schaltet schneller, lässt Kaffee und Brötchen fallen und rennt auf ihn zu. Sie treffen sich am Transporter. Thomas öffnet die Fahrertür, springt auf den Sitz und startet den Motor. “ Lässt einfach den Schlüssel stecken, Anfängerfehler , “ denkt er noch, da öffnet sich die Beifahrertür. Thomas legt den Schaltknauf in Stufe „R“, tritt das Gaspedal durch, beschleunigt blindlings den Transporter rückwärts. Sein Verfolger versucht verzweifelt den Beifahrersitz zu besteigen, greift und tritt dabei ins Leere und wird im nächsten Augenblick zwischen der halb geöffneten Beifahrertür und einem auf dem Bürgersteig parkenden Leichenwagen eingequetscht. „Das hat mir gerade noch gefehlt“,schießt es Thomas durch den Kopf. Soll er nachsehen, was mit dem „Installateur“ passiert ist oder nach Hause fahren? Er entscheidet sich für seine Familie und fährt in rasantem Tempo los,gefolgt von den ängstlichen Blicken einiger Passanten, die alles mit angesehen haben. Zuhause angekommen parkt er mit quietschenden Reifen im Vorgarten. Die Türen und Fenster des Hauses sind geöffnet und die weißen Gardinen wehen im Wind. Rasant breitet sich ein flaues Gefühl in seiner Magengegend aus. Er stürzt ins Haus.
Als er im Augenwinkel
rotverschmierte Handabdrücke im Hauseingang bemerkt, entweicht ihm ein Schrei.
„Sonja!“ Keine Antwort.
Noch mehr Blut auf dem Teppich im Wohnzimmer. Mein Gott, wo waren denn alle!
Da hörte er, wie die Tür ins Schloss fiel. Thomas’ Herz raste, als er sich umdrehte.
Er sah einen großen, muskulösen Mann im Türrahmen stehen. “Wer sind Sie?” fragte Thomas mit zitternder Stimme. Der Mann grinste kalt. “Deine Familie ist in Sicherheit, aber das kann sich schnell ändern, wenn du nicht kooperierst,” sagte der Mann. “Du wirst jetzt genau das tun, was wir dir sagen.” Thomas spürte, wie ihm der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. “Was wollen Sie von mir?”
“Du wirst uns Zugang zu den Firmengeheimnissen geben,” sagte der Mann.
„Du wirst mir deinen Schlüssel und alle deine Passwörter geben.“
Er streckte Thomas die geöffnete Hand entgegen. Thomas spürte seinen Firmenschlüssel schwer in seiner Tasche. Er hatte das Gefühl, alles Blut entweicht aus seinem Kopf und er sah sein Leben in Sekunden-schnelle zu einem Scherbenhaufen aufgetürmt. Nein, das durfte nicht passieren!
Plötzlich ganz ruhig, verhandelte er mit diesem Mann: „Bringen Sie mir meine Familie wieder, dann bekommen Sie, was Sie wollen, oder …“ Thomas Körper began zu tänzeln, sein Bein machte einen großen Bogen, so dass sein Fuß mit voller Wucht den Kopf des Eindringlings erwischte. Der fand sich überraschend auf dem Boden liegend wieder. Capoeira!
Thomas Begeisterung für die brasilianische Kampfkunst hatte bei einer Dienstreise nach Brasilien begonnen. „Wie gesagt, zuerst kommt meine Familie unversehrt nach Hause,“ schrie er den Mann an. Thomas fixierte ihn so, dass er eine Hand frei hatte, zog sein Handy aus der Hosentasche und gab es ihm. „Rufe deinen Auftraggeber an und sag ihm das ich meine Familie umgehend sehen möchte.“
Noch bevor der Fremde etwas sagen konnte, stand plötzlich Teresa im Wohnzimmer.
„Spar dir das!“ sagte sie in scharfem Ton. „Du hast so oder so verloren! Entweder du gibst uns, was wir verlangen, oder ich werde deiner Familie jedes kleinste Detail deiner dreckigen Affäre mit mir verraten. Du hast viel aufs Spiel gesetzt, nun ist es an der Zeit dich zu entscheiden, was dir wichtiger ist. Deine Arbeit oder deine Familie?“
Ein Schlag, Theresa stürzte nach vorne … der Muskeltyp schrie …Thomas‘ Kopf dröhnte, als der sehr kleine junge Mann in Uniform wieder eine dieser riesigen Münzen in das Schwein fallen ließ. Und jedes Mal schrie Teresa, die einen blauen Installeursoveral trug und Sonjas Frisur hatte: „Spar dir das! Du hast verloren!“ Das „verloren“ hallte dann, so schien es ihm, jedes Mal unendlich nach. Aber … es kam woanders her. Nur langsam kam er zu sich. Was er wie durch einen Wattebausch hörte, kam von dem Mann, der neben ihm hockte und eine ziemlich lädierte Polizeiuniform trug. Schon wieder sagte er jetzt etwas wie: „Schwein gehabt“, „nur zu dritt“, „ihre Frau“ und „Schlüssel verloren.“ Nur Fetzen konnte er erinnern: das plötzlich an der Decke des Wohnzimmers flackernde blaue Licht, quietschende Reifen irgendwo draußen und die auffliegende Tür, die gegen Teresas Kopf geschlagen war und sie gegen den Wohnzimmertisch geschleudert hatte. Der Muskeltyp hatte wie ein Baby geschrien. Dann war die knallgelbe Rauchbombe mit der roten Aufschrift „blues-sky®“ direkt neben seinem Kopf gelandet und losgegangen. Sie ging ihm nicht aus dem Kopf. War das nicht irgendwie falsch geschrieben?
The End
Ach, lesen …
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